Es muss uns Menschen gelingen innerhalb der nächsten Jahre weitestgehend auf fossile Energieträger zu verzichten. Zu einer erfolgreichen Energiewende gehört auch eine konsequente Politik der Energieeinsparung und der Energieeffizienz. Dies gilt in besonderem Maße für den Verkehr und die Nutzung von Wärme. Die NaturFreunde sehen in der Energiewende nicht nur die die große Chance für eine ökologische Wende, sondern auch für eine gesellschaftliche. Durch Energiegenossenschaften, kommunale und regionale Energielösungen schwindet die Abhängigkeit der Bürgerinnen und Bürger von den Energiekonzernen, deren Marktmacht und Preisdiktat.
Vielen Menschen ist klar, dass individuelle Maßnahmen wie weniger Fleisch essen, weniger Fliegen, weniger Autofahren, mehr Fotovoltaik-Anlagen aufs Familienheim oder den Mieter-Balkon bauen und erneuerbaren Strom von einem der Öko-Stromhändler beziehen gut sind für das Klima, aber bei weitem nicht ausreichen, um es wirksam zu schützen.
Ursprünglich war mit der Energiewende eine umfassende Neuausrichtung des gesamten Energie-systems gemeint, die weit über die Förderung der Erneuerbaren hinausgeht. Vor allem sollten der Energieverbrauch und Wandlungsverluste drastisch gesenkt werden. Die Energiewende erfordert nicht nur ein Ende der fossilen und nuklearen Brennstoffe durch den Austausch der Energieträger. Zu ihr gehören auch eine Effizienzrevolution, möglichst weitgehend Dezentralität sowie mehr Demokratie und Bürgerbeteiligung. Eine zentrale Leitidee der Wende heißt: Mehr Wohlstand mit weniger Energie. Die Energiewende muss zu einer Ausweitung der dezentralen Energieversorgung in Bürgerhand führen. Energiegenossenschaften und kommunale Unternehmen sind deshalb besonders zu fördern. In Baden-Württemberg müssen Schulungen für Kommunen, Bürgerinnen und Bürger z.B. von den regionalen Energieagenturen angeboten werden um diese zu befähigen Energiegenossenschaften selbst zu initiieren und zu betreiben. In der Region verwurzelte Fachleute können so die Energiewende vor Ort unterstützen.
Seit den Öl(preis-)krisen 1973 und 1978 wissen wir, dass der Wohlstand, der auf der maßlosen Ausbeutung der Ressourcen und grenzenlosen Überlastung der natürlichen Senken beruht, trügerisch und selbstzerstörerisch ist. Rückenwind erhielt die Energiewende 1986 nach dem Tschernobyl-GAU mit dem Stromeinspeisegesetz und 1990 durch das von der Klima-Enquete vorgelegte umfassende Reduktionsszenario für Treibhausgasemissionen. Wäre diesen Empfeh-lungen gefolgt worden, lägen die Treibhausgasemissionen in Deutschland heute rund 70 % niedriger als 1990.
Die Konzepte der Energiewende zeigen: Wenn die politischen Rahmensetzungen grundlegend geändert werden, sind sowohl eine massive Verringerung des Energieeinsatzes möglich als auch die Abkehr von Atom und Öl. Die Energiepolitik darf nicht länger auf die Angebotsseite ausgerichtet werden, auf die großen Erzeugungskapazitäten mit hohen Reserveleistungen und gewaltigen Übertragungsnetzen. Ins Zentrum gehören die Einsparpotentiale auf der Nachfrageseite. Dazu gehören dezentrale Anreiz- und Umsetzungsstrukturen. Dies fehlt bisher. So ist es bei einer amputierten Energiewende geblieben: statt zu den drei großen E – Einsparen, Effizienzrevolution und erneuerbare Energien – kam es wesentlich nur zum Erneuerbaren Energien-Gesetz.
Die Gesetzgebungsmaßnahmen auf europäischer, nationaler und landesweiter Ebene müssen um die lokalpolitische Handlungsebene ergänzt werden: wir brauchen auf lokalpolitischer Ebene nicht nur eine Stromwende, sondern auch eine Verkehrswende und insbesondere eine Wärmewende. Bisher ist die Energiewende in Deutschland als Stromerzeugungswende durch die Umstellung von der atomaren und fossilen Stromerzeugung insbesondere auf Solar- und Windstrom in einigen Regionen schon fortgeschritten. In Baden-Württemberg haben wir aber auch bei der Stromwende noch erheblichen Nachholbedarf, wie inzwischen auch die Presse meldet (z.B. Stuttgarter Zeitung vom 27.02.2020; Die Energiewende ist ins Stocken geraten).
Anders als bei der Stromwende stehen wir bei der Verkehrswende und der Wärmewende noch ganz am Anfang. Zur Verkehrswende ist neben neuen Antriebssystemen insbesondere ein Ausbau des ÖPNV auf allen Ebenen erforderlich.
Die wesentliche lokalpolitische Herausforderung in unseren Städten und Gemeinden ist jedoch die Wärmewende: Knapp 60 % unseres Endenergiebedarfs entfallen auf Heizung und Warmwasser. Um die für die Vermeidung der Klimakatastrophe erforderliche Begrenzung der Erderwärmung um 2 bzw. 1,5 Grad zu erreichen, ist ein zügiger Ausstieg auch aus der fossilen Wärmeversorgung durch Kohle, Öl und Gas erforderlich. Für diese Energiesystemwende sind individuelle Maßnahmen zu teuer, zu langsam und damit nicht ausreichend. Die bisherigen Einzelhausmaßnahmen müssen in großem Umfang durch gemeinschaftliche Lösungen in Quartieren, Stadtteilen, Ortschaften, Städten und Gemeinden ergänzt werden. Die weitreichenden finanziellen und sozialen Auswirkungen der Wärmewende für Mieter und Wohnungseigentümer sind noch grundsätzlich zu diskutieren.
Viele Städte und Gemeinden haben sich auch in Baden-Württemberg mit Bioenergiedörfern, Wärmenetzen und Stadtwerken auf den Weg in eine (energie- und kosten-)effiziente und erneuer-bare Energie- und Wärmeversorgung gemacht. Das Land will durch eine Novelle des Klimaschutz-gesetzes mit der kommunalen Wärmeplanung einen wichtigen Schritt für die Umstellung des Wärmeversorgungssystems in unseren Städten und Gemeinden anstoßen. Auch wenn dieses Gesetz nicht oder nur unzulänglich zustande kommt, besteht die Aufgabe, vor Ort einzelne Konzepte zum Ausstieg aus der Wärmeversorgung mit Kohle, Öl und Gas zu entwickeln und umzusetzen.
Gemeinden nehmen Wärmenetze z.B. mit Abwasserwärme, industrieller Abwärme, Solar- und Geo-thermie und hocheffizienten Blockheizkraftwerken (BHKWs) in Betrieb. Städte und ihre Stadtwerke entwickeln und betreiben Energie- und Wärmesysteme mit effizienter und erneuerbarer Wärme-erzeugung.
Beispiel für ein solches Konzept und den Versuch der Umsetzung ist das Vorhaben der Stadt Tübin-gen. Die Bereiche Wärme, Mobilität und Strom sollen durch Maßnahmen der Stadt, der Stadtwerke und der Bürger effizient und erneuerbar werden. Die Stadt hat ein Konzept erstellt und will dies mit den Einwohnern diskutieren und im Gemeinderat beschließen. Tübingen kann ein weiteres Beispiel für viele Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg werden, um ein eigenes bürgernahes Konzept zur Energie- und Wärmesystemwende aufzustellen und umzusetzen.
Karl-Ernst Kappel, Alexander Habermeier
NaturFreunde Württemberg
Literatur:
Michael Müller, PStS a.D., NaturfreundIn 1/2020 S. 10 „Die amputierte Energiewende“
Stadt Tübingen GR-Vorlage 11/2020 Klimaschutzprogramm 2020-2030
Studie „EE-Prognose Bayern“ FfE in E & M vom 1.3.2020 S. 7 Regionale Erzeugung
Georg Müller MVV in MaMo 2.3.2020: Grüne Wärme aus Verbundnetz wird günstiger bleiben als eine Umrüstung vieler einzelner Heizungsanlagen